30. Januar 1933: „Machtergreifung“ oder die Bedingungen der Möglichkeit der nationalsozialistischen Diktatur.
Machtübergabe
Ende Januar 1933 geht alles plötzlich ganz schnell. Die Deutschnationale Volkspartei (DNVP) entzog am 26. Januar dem maßgeblich von ihnen gestützten amtierenden Reichskanzler Kurt von Schleicher das Vertrauen. Dieser wandte sich daraufhin an den Reichspräsidenten Paul von Hindenburg. Von Schleicher wollte den widerspenstigen Reichstag auflösen, jedoch ohne Neuwahlen anzusetzen und mit weitreichenden Vollmachten das Deutsche Reich regieren. Das wäre einem Staatstreich gleichgekommen. Reichspräsident von Hindenburg lehnte das Gesuch ab. Am 28. Januar erklärte von Schleicher seinen Rücktritt.
Reichspräsident von Hindenburg hatte währenddessen den parteilosen Franz von Papen, der bis Dezember 1932 Reichskanzler gewesen war, mit der Bildung einer neuen Regierung beauftragt. Von Papen hatte sich bereits am 4. Januar mit Adolf Hitler, dem Vorsitzenden Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP) getroffen, um die Option einer gemeinsamen Regierungsarbeit zu verhandeln. Nach dem Rücktritt Kurt von Schleichers strebte von Papen erneut nach der Macht und als Vizekanzler ebnete der enge Vertraute des Reichspräsidenten den Weg für Hitlers Kanzlerschaft. Um 11:00 Uhr morgens, am 30. Januar 1933 übertrug Paul von Hindenburg Adolf Hitler das einflussreiche Amt.
Der 30. Januar markiert eine wichtige Wegmarke auf dem Weg in die nationalsozialistische Diktatur. In den folgenden Tagen, Wochen und Monaten nahm die Machteroberung rasant an Geschwindigkeit und Brutalität zu. Schritt für Schritt betrieben die Nationalsozialisten im Bund mit den Deutschnationalen und der rechtskonservativen Elite den Abbau der parlamentarischen Demokratie, die Zerstörung der Weimarer Republik. Einmal an der Macht, errichteten Hitler und seine Anhänger einen Apparat totalitärer Machtausübung. Doch die Übertragung der Macht an Adolf Hitler war nicht unausweichlich. Es waren die demokratisch legitimierten Funktionsträger der Weimarer Republik, die ihm an jenem 30. Januar die Macht übergaben. Aber musste es so kommen, wie es gekommen ist?
Machteroberung
Auf die Frage nach dem Warum gibt es keine einfache Antwort. Zunächst dürften damals sowohl von Hindenburg als auch von Papen angenommen haben, dass es ohne die Nationalsozialisten keine erfolgreiche Regierungsarbeit mehr gegeben hätte. Die NSDAP stellte nach ihrem Erfolg bei den Reichstagswahlen Ende Juli 1932, bei dem sie die SPD als größte Fraktion ablöste, die meisten Abgeordneten im Deutschen Reichstag. Die Nationalsozialisten nutzen diese Mehrheit als Druckmittel auf die Regierungsbildung, um bereits im Sommer 1932 die Kanzlerschaft Adolf Hitlers durchzusetzen. Sie drohten, andernfalls jede konstruktive Mitarbeit im Parlament zu unterlassen. In diesem Moment, ein halbes Jahr vor dem 30. Januar 1933, verweigerte Hindenburg die Zustimmung zur Einsetzung Adolf Hitlers als Reichskanzler allerdings noch. Daraufhin missbrauchte der zum Reichstagspräsidenten gewählte Nationalsozialist Hermann Göring in der ersten Sitzung der neuen Legislatur am 12. September 1932 seine Macht, um den Reichstag wieder aufzulösen. Zwar verlor die NSDAP in der Konsequenz dieser Sabotage in der nächsten Wahl zum Reichstag am 6. November wieder Mandate, doch bildete sie auch Anfang 1933 weiterhin die stärkste Fraktion.
„In zwei Monaten haben wir Hitler in die Ecke gedrückt, dass er quietscht!“
Franz von Papen
Im Januar 1933, als die Regierung unter Kurt von Schleicher scheiterte, schien Franz von Papen nur noch den Ausweg zu sehen, der NSDAP Zugeständnisse zu machen und mit ihnen eine arbeitsfähige Regierung zu bilden. Von Papen und die DNVP waren überdies überzeugt, dass sie Hitler und die NSDAP durch das Zugeständnis von allein zwei Posten im Kabinett würden einhegen können. Der Vorsitzende der DNVP, Alfred Hugenberg erklärte damals: „Wir rahmen also Hitler ein.“ Franz von Papen soll in diesem Sinne ebenfalls überzeugt gewesen sein, sie hätten „in zwei Monaten […] Hitler in die Ecke gedrückt, dass er quietscht!“ Am Abend des 29. Januar, nur einen Tag nach dem Rücktritt von Schleichers legte von Papen dem Reichspräsidenten den Vorschlag zur Bildung eines Kabinetts unter der Kanzlerschaft Adolf Hitlers vor.
Dass der Reichspräsident dem vorgeschlagenen Kabinett zustimmte, hatte allerdings noch einen anderen Grund. Eine mögliche Beteiligung der NSDAP an der künftigen Regierung weckte im Januar 1933 insbesondere bei der obersten Militärführung des Deutschen Reiches die Sorge einer bevorstehenden nationalsozialistischen Diktatur. General Kurt von Hammerstein, damals der Chef der Heeresleitung, traf sich heimlich mit Adolf Hitler, um sich über dessen Pläne zu informieren. Bei Hitler und den beiden engsten Genossen in der Parteiführung der NSDAP, Joseph Goebbels und Hermann Göring, weckte das Interesse des Generals die Befürchtung, das Militär könne im Falle der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler gegen dessen Regierung putschen. Als Franz von Papen dem Reichspräsidenten den Kabinettsvorschlag unterbreitete, informierte dieser ihn zudem, dass ein Putsch der Reichswehr bevorstehe, der eine Militärdiktatur unter Kurt von Schleicher und General von Hammerstein durchsetzen solle. Nur unter dem Eindruck dieses Gerüchts ernannte von Hindenburg entgegen seiner ursprünglichen Absichten am Morgen des 30. Januar 1933 Adolf Hitler zum neuen Reichskanzler.
Die überhebliche Haltung der Deutschnationalen um Franz von Papen und Paul von Hindenburg, die sich selbst als verdiente Militärs und angesehene Aristokraten dem nur 44 Jahre alten „Emporkömmling“ Adolf Hitler weit überlegen fühlten, mag die politische Elite zu dieser Fehlentscheidung veranlasst haben. Es wird aber auch klar, dass die Zeitgenossen offenkundig nicht mit dem rechneten, was in den folgenden Wochen geschah. Zumindest die beteiligten Politiker der ersten Hitlerregierung wurden von der Dynamik der nun rasant fortschreitenden Machteroberung eher überrascht. Intellektuelle Zeitgenossen wie Klaus und Heinrich Mann, Hannah Arendt, Käthe Kollwitz, Alfred Döblin, Lion Feuchtwanger und einige weitere erkannten zwar sofort, dass sich hier eine fundamentale Veränderung der politischen Verhältnisse vollzog. Diese Fürsprecher der Weimarer Demokratie waren allerdings in der Minderheit.
Für die Nationalkonservativen war der politische Bruch hingegen kaum zu erkennen. Sie waren von den demokratischen Werten der Weimarer Republik selbst nicht überzeugt. Die genuine Vielfalt einer modernen Gesellschaft war ihnen zu wider, Pluralismus missverstanden sie als Zersplitterung politischer Interessen. Sie traten ein für eine Idee der nationalen Gemeinschaft, in der sich die politischen Widersprüche unter der Führung eines starken Mannes auflösen sollten. Ihnen waren mehrheitlich also selbst antiparlamentarische Reflexe eigen, die die Nationalsozialisten in den folgenden Wochen mit in der faktischen Abschaffung des demokratischen Systems der Weimarer Republik gewissermaßen bedienten. Franz von Papen und Kurt von Schleicher, die beiden letzten Reichskanzler vor der ersten Hitlerregierung, hatten zu Sicherung ihrer Macht selbst um den Einsatz der Notverordnungen und die Ausschaltung des Parlaments beim Reichspräsidenten vorgesprochen. Der Reichspräsident von Hindenburg regierte bereits seit einer Weile mit Notverordnungen und favorisierte die Regierungsform der Präsidialkabinette.
Das erste Präsidialkabinett der Weimarer Republik hatte sich unter von Hindenburgs Ägide bereits Ende März 1930 gebildet. Am 27. März stürzten unzufriedenen Sozialdemokraten und Abgeordnete der Deutschen Volkspartei (DVP) die Große Koalition unter dem sozialdemokratischen Kanzler Hermann Müller, weil sie sich nicht auf die Erhöhung des Beitrags zur Arbeitslosenversicherung einigen konnten. Zwei Tage später bildete der Zentrumspolitiker Heinrich Brüning erstmals in der Geschichte der deutschen Demokratie ein Kabinett ohne eigene Mehrheit im Reichstag. Brünings Minderheitenregierung arbeitet gegen eine starke sozialdemokratische Opposition und gegen wachsende antidemokratische Fraktionen der NSDAP und KPD. Als im Sommer 1931 die Bankenkrise die deutsche Wirtschaft erfasste und die Zahl der Arbeitslosen quasi über Nacht in die Höhe schoss, reagierte Brüning mit einer rigorosen Sparpolitik. Die Unterstützung schwand in demselben Tempo, wie die soziale Verelendung durch seine Deflationspolitik zunahm. Am 30. Mai 1932 wird Brüning auf Betreiben Kurt von Schleichers durch den Reichspräsidenten von Hindenburg entlassen. In den nächsten acht Monaten folgen die Präsidialkabinette unter Franz von Papen, Kurt von Schleicher und schließlich Adolf Hitler.
Die Reichskanzler vor Hitler hatten aber nicht nur selbst versucht, den Reichstag auszuschalten und mit Notverordnungen des Reichspräsidenten von Hindenburg zu regieren. Sie lieferten den Nationalsozialisten auch viel schwerwiegendere Instrumente zur Eroberung der Macht. Die unter Reichskanzler Adolf Hitler am 4. Februar 1933 erlassene „Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutze des Deutschen Volkes“, die die Presse- und Versammlungsfreiheit massiv beeinträchtigte, arbeitete bereits das Kabinett Franz von Papen im Herbst 1932 aus. Es ist folglich auch keine Überraschung, dass von Papen des Weiteren unter dem Eindruck des Reichstagsbrandes am 27. Februar 1933 dem Reichspräsidenten von Hindenburg die sogenannte Reichstagsbrandverordnung zur Unterzeichnung vorlegte und dieser sie unterschrieb. Die „Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutz von Volk und Staat“ stammte zwar aus der Feder Adolf Hitlers. Doch es war von Hindenburg, der mit seiner Unterschrift die Bürgerrechte außer Kraft setzte und die Verhaftung tausender vermeintlicher und tatsächlicher Gegner der Nationalsozialisten ermöglichte. In der Wahl zum achten Reichstag am 5. März 1933 nutzte die NSDAP diese Verordnungen, um den Wahlkampf zu ihren Gunsten zu beeinflussen und den politischen Gegner zu beseitigen. In dieser letzten Wahl, die angesichts der Umstände nicht mehr frei und daher auch nicht demokratisch war, errang die NSDAP 43,9 Prozent der Stimmen im Deutschen Reich. Für die NSDAP war diese Legitimation durch große Teile des deutschen Volkes von enormer Bedeutung.
Innerhalb von fünf Jahren, seit der Reichstagswahl im Mai 1928, in der die NSDAP noch mit 2,6 Prozent Stimmenanteil abschnitt, wuchs sie zur Volkspartei im Wortsinn heran. Unter dem Eindruck der Weltwirtschaftskrise, die bald in eine politische Systemkrise umschlug, profilierte sich die national-völkische Splitterpartei zur politischen Alternative, der eine klare Mehrheit der Wahlberechtigten Bürger:innen des Deutschen Reiches ihre Stimme gab. Zunächst konnte sie vor allem Wähler:innen der bürgerlichen Mittelschicht von sich überzeugen. Im Angesicht der Folgen der Wirtschaftskrise fühlten sich auch immer mehr Arbeiter:innen aus den ländlichen und kleinstädtischen Regionen von dem Programm der NSDAP angesprochen. Sie sahen bei der NSDAP im Unterschied zu den anderen Parteien ganz offensichtlich die größte Problemlösungskompetenz. Eine wachsende Zahl der wahlberechtigten Bürger:innen hatte das Vertrauen in die politische Ordnung, die Institutionen der Demokratie verloren. Mit Sechs Millionen waren die Nichtwähler:innen die zweitgrößte Gruppe, die für die NSDAP den Gang zur Urne auf sich nahm.
Die Politik des „Alles oder Nichts“, die Hitler mit der NSDAP verfolgte, war dabei nicht ohne Risiko. Sie hätte nicht erfolgreich sein müssen, hätte unterbunden werden können. Im Laufe des Jahres 1932 hatten Hitler und die NSDAP noch einige Niederlagen einstecken müssen. In ihrer eigenen Wahrnehmung war der 30. Januar 1933 das Ergebnis ihres machtpolitischen Kalküls und doch sahen sie den Erfolg auch selbst als ein Wunder. Seit dem gescheiterten Kapp-Putsch im Jahre 1923 hatte die nationalsozialistische Bewegung auf diesen Tag hingearbeitet. Bis zuletzt konnte sie nicht sicher sein, dass sie Erfolg haben würde.
Geschichte und Gegenwart
Geschichte muss als Möglichkeitsraum gedeutet werden, um die tatsächliche Entwicklung historisch beurteilen zu können. Alternativen hätte es gegeben. Der Beginn der Herrschaft der Nationalsozialisten war nicht nur der Todesstoß für die parlamentarischen Demokratie der Weimarer Republik. Hitler und die NSDAP verhinderten in ihrer eigenen Wahrnehmung auch die Errichtung einer Militärdiktatur und schoben auch den Ambitionen der kommunistischen Teile der Arbeiterbewegung einen Riegel vor, die eine „Diktatur des Proletariats“ nach sowjetischem Vorbild zu errichten suchten. Die KPD bildete neben der NSDAP die zweite große Fraktion, die sich an der Sabotage der Weimarer Demokratie und der Zuspitzung der politischen Krise beteiligte. Die beachtliche Zustimmung, die Adolf Hitler und seine NSDAP erfuhren, rührte auch aus der Sorge vor einem kommunistischen Umsturz, der sich aus der Wahrnehmung der KPD als einer „fünften Kolonne“ der Sowjetunion in der deutschen Politik speiste. Die Spaltung der Arbeiterbewegung, die zu handfesten Auseinandersetzungen zwischen Kommunisten und Sozialdemokraten führte, verhinderte auch die konstruktive Arbeit einer Arbeiterbewegung an der Lösung der grassierenden sozialen Frage. Die SPD wurde im doppelten Abwehrkampf zwischen NSDAP und KPD regelrecht zerrieben.
Wenn wir eine Lehre aus dieser Betrachtung für die Gegenwart ziehen können, dann ist es die Einsicht, dass die Weimarer Demokratie letztlich daran zu Grunde ging, dass ihr die wehrhaften Demokrat:innen fehlten. Sie war eine Republik ohne Republikaner. An ihrem Untergang waren die demokratisch gewählten Vertreter, die die Institutionen der Demokratie innehatten, aktiv beteiligt. Diejenigen, die die demokratische Verfasstheit faktisch abgebaut haben, wurden demokratisch gewählt, aber sie waren keine Demokraten.
Adolf Hitler und die NSDAP wurden gewählt, weil die Bürger:innen der Weimarer Republik das Vertrauen in die Demokratie verloren oder gar nie gefunden hatten. Vor dem Hintergrund der Weltwirtschaftskrise, die auch im Deutschen Reich die Zahl der Arbeitslosen auf sechs Millionen hochtrieb und die ein für damalige Verhältnisse extremes Maß an Verelendung verursachte, wurde der Schrei nach Sicherheit immer lauter. Bis er schließlich in einem jede Differenz übertönenden Ruf nach dem starken Führer aufging.
Den Ruf nach einem starken Führer vernehmen wir auch heute wieder vermehrt. In Studien wird er regelmäßig als Item neo-nationalsozialistischer Einstellungsmuster abgefragt und erreicht signifikante Zustimmungswerte. Gleiches lässt sich mit Blick auf Geschichtsrevisionismus und Nationalchauvinismus konstatieren, wobei die Zahlen hier noch deutlich höher sind. Rechte Politik beschwört auch heute noch die nationale Gemeinschaft gegen die moderne Gesellschaft mit ihren abstrakten und diversen Zugehörigkeiten. Dennoch leben wir heute nicht in einer Situation wie 1933. Vor allem ist die parlamentarische Ordnung heute rechtsstaatlich gegen den autoritären Missbrauch durch führende Ämter geschützt. Andererseits ist die gegenwärtige Sorglosigkeit vieler Funktionsträger:innen und Bürger:innen gegenüber der Bedrohung der Demokratie durch völkisch-nationalistische Strukturen eine bedenkenswerte Parallele. Wir dürfen uns heute jedenfalls nicht auf der Erkenntnis ausruhen, dass sich die Geschichte nicht eins zu eins wiederholt und dass Berlin ja nicht Weimar ist.