Lidice – Die Geschichte des Dorfes, das am 10. Juni 1942 aufhören sollte zu existieren…
Lidice (20 km nordwestlich von Prag) befand sich jahrhundertelang ein gewöhnliches kleines Bauerndorf im flachen Tal des Flusses Lidice… Bis Juni 1942 lebten hier mehr als 500 Einwohner ihr normales Leben, das Dorf hatte eine Barockkirche, ein Postamt, drei Gasthäuser, drei Geschäfte, einen Schmied, einen Schneider, eine Mühle, ….
Doch nach dem Attentat an den amtierenden Reichsprotektor SS-Obergruppenführer Reinhard Heydrich am 27. Mai 1942 eskalierte der Terror der Nazi-Besatzer gegen das tschechische Volk. Trotz Hinrichtung hunderter von Menschen und umfangreicher Razzien konnten die Angreifer nicht gefasst werden. Als Heydrich am 4. Juni 1942 seinen Verletzungen erlag, beschlossen die Nazis, einen beispiellosen Akt der Einschüchterung in Böhmen und Mähren durchzuführen – die Auslöschung des Dorfes Lidice. Der ehrgeizige Staatssekretär des Reichsprotektorats, SS-Obergruppenführer Karl Hermann Frank, hatte großen Anteil an diesem Plan. Die Nazis wählten Lidice mehr oder weniger zufällig aus – sie benutzten unsinnige und unbewiesene fabrizierte Beweise.
Am Abend des 9. Juni wurde Lidice von Wehrmachts- und deutschen Polizeieinheiten umstellt, niemand durfte das Dorf verlassen. Der Bürgermeister wurde gezwungen, alle Wertsachen der Gemeinde zu übergeben, die Einwohner wurden nach Mitternacht aus ihren Häusern geholt. Die Männer über 15 Jahre wurden im Keller und im Stall von Horáks Bauernhof zusammengetrieben. Alle wertvolleren Gegenstände, Pferde, Rinder, landwirtschaftliche Maschinen usw. wurden eingesammelt und abtransportiert.
Am Morgen des 10. Juni 1942 erschien Karl Hermann Frank um die Liquidierung des Dorfes zu überwachen. Die Frauen und Kinder wurden zunächst in die örtliche Schule getrieben und dann im früh mit Bussen abtransportiert. Währenddessen wurde auf Horáks Hof ein Erschießungskommando vorbereitet. Die Männer wurden dann in Gruppen in einen angrenzenden Garten geführt und dort erschossen. Alle Häuser, einschließlich der Schule, der Kirche und des Pfarrhauses, wurden mit Benzin übergossen und angezündet…
Einige Stunden später wurden die Frauen von ihren Kindern getrennt und in das Konzentrationslager Ravensbrück gebracht, wo die meisten von ihnen ums Leben kamen. Einige Kinder aus Lidice wurden für die Germanisierung ausgewählt, die übrigen über 80 wurden in das Vernichtungslager Chełmno gebracht, wo die meisten in einem speziellen Vernichtungswagen durch Abgase getötet wurden. Am 16. Juni 1942 wurden 26 weitere Einwohner von Lidice, welche entweder zuvor verhaftet worden waren oder sich an diesem schicksalhaften Tag außerhalb des Dorfes aufhielten, auf dem Schießplatz in Prag hingerichtet…
Insgesamt verloren 340 Einwohner von Lidice (192 Männer, 60 Frauen und 88 Kinder) ihr Leben.
Nach dem zweiten Weltkrieg kehrten 143 Frauen und nach einer sorgfältigen Suche, 17 Kinder zurück.
Die verbrecherische Vernichtung von Lidice empörte die ganze Welt durch ihre Planung und Kaltblütigkeit. Städte und Gemeinden in Mexiko, Brasilien und den USA benannten sich aus Protest gegen das Nazi-Verbrechen in Lidice um; auch Babys wurden auf den Namen Lidice getauft. Britische Bergarbeiter gründeten die Bewegung „Lidice Shall Live“ und organisierten eine Sammlung für den Wiederaufbau des Dorfes. Unter dem Namen Lidice kämpften tschechoslowakische Panzer und Flugzeuge sowohl an der Ost- als auch an der Westfront. Lidice wurde so in den Augen der Weltöffentlichkeit zu einem der Symbole des Kampfes gegen den deutschen Nationalsozialismus, zusammen mit dem französischen Dorf Oradour-sur-Glane (1944 ermordet) .… Die Geschichte von Lidice wurde mehrfach verfilmt und in Büchern aufgegriffen.
Nach Ende des Zweiten Weltkrieges wurde das Dorf wieder aufgebaut, aber aus Gründen des Gedenkens wurde ein neues Dorf an einem anderen Ort unweit des ursprünglichen Dorfes errichtet; der ursprüngliche Ort ist heute die Gedenkstätte Lidice…..
Jeder Mensch in Tschechien kennt die Geschichte von Lidice, aber anderswo ist sie fast in Vergessenheit geraten…. Wir möchten mit unseren Angeboten zu diesem Thema einen Beitrag zum Gedenken an diese traurigen Ereignisse leisten, aber auch das tschechisch-deutsche Begegnungsformat für gegenseitige Gespräche, Diskussion und Vernetzung nutzen. Sowie Einblicke in die gemeinsame grenzüberschreitende Zukunft unserer Region erhalten.
Mit unseren Projektpartnern (der Brücke/Most-Stiftung aus Dresden, dem Lebendigen Gedächtnis aus Prag und der Gedenkstätte Lidice) hat die Netzwerkstatt drei Angebote zum Thema realisiert:
1) 28.08.2023/ 18:00 – 19:30 Uhr (online): Einführung und Kennenlernen
Nach einem interaktiven Kennenlernen der Teilnehmenden führte Kristina Tělupilová, Mitarbeiterin der Gedenkstätte Lidice, mit einer Präsentation und Fotos in das Thema ein und vermittelte grundlegende Informationen und Fakten. Das Online-Treffen wurde von 15 Personen verfolgt.
2) 31.08.2023 / 10:00 – ca. 16:00 Uhr (in Lidice): Gedenkstättenfahrt Lidice
An der Tagesfahrt zur Gedenkstätte Lidice nahmen 35 Interessierte aus Deutschland und der Tschechischen Republik teil. Die meisten fuhren mit dem Bus aus Zittau, einige reisten individuell an. Der Vormittag wurde mit einer Führung durch die Gedenkstätte und das Museum verbracht. Nach dem Mittagessen verbrachte die Gruppe Zeit in der Lidice-Galerie und besichtigte die aktuelle Kunstsammlung, sowie eines der „neuen Lidicer Häuser“, welche für die Frauen gebaut wurden, die den Krieg überlebten und aus den Konzentrationslagern nach Hause zurückkehrten. Zum Schluss nahm sich Gedenkstättenmitarbeiterin Kamila Smetana Varaďová Zeit, um pädagogischen Angebote für die Arbeit mit Schulen vorzustellen. In einer anregenden Diskussion kam es auch zu einem bereichernden Informations- und Erfahrungsaustausch .
3) 07.09.2023 / 18:00 – 19:30 Uhr (online): Zeitzeugengespräch
Dem realen Besuch in Lidice folgte ein weiteres virtuelles Angebot – ein Treffen mit dem Zeitzeugen Jiří Pitín. Er hat die ganze Tragödie überlebt, weil er damals erst 1 Jahr alt war. Fast 20 Personen kamen, um zu erfahren, wie das Schicksal von Lidice sein Leben geprägt hat.
Die Teilnehmenden kamen aus Tschechien und Deutschland. Alle Veranstaltungen fanden auf Tschechisch und Deutsch statt und wurden gedolmetscht, sie waren nicht nur als Bildungsangebot, sondern auch als grenzübergreifender Kontakt konzipiert.
Wir sind allen Partnern und Teilnehmern sehr dankbar für ihre Zusammenarbeit, ihr Interesse und die Zeit, die sie dem Gedenken an unsere gemeinsame Geschichte gewidmet haben. Auch wenn es nicht einfach ist, sind wir überzeugt, dass die Kenntnis der Geschichte einer von den wichtigsten Voraussetzungen für unsere zukünftigen gemeinsamen Schritte ist.
Vielen Dank und wir freuen uns darauf, Sie bald bei unseren nächsten Veranstaltungen wiederzusehen!
Fotos der Gedenkstättenfahrt