Zittau ’33: Eindrücke aus der musikalischen Lesung „Die Unsterblichkeit der Sterne“ und der szenischen Installation „Das Grenzlandtheater“
Wenn ich mich mit der Zeit des Nationalsozialismus beschäftige, interessieren mich v.a. die Fragen: Was war das für eine Zeit? Was bewegte die Menschen? Und wie konnte das alles passieren?
Ich merke immer wieder, wie ich mit dem rationalen Erfassen, dessen was war, an meine Grenzen stoße. Kunst und Literatur können mir dann Einblicke in diese Zeit gewähren, die mich emotional ergreifen, so dass ich etwas mehr begreife.
Jüngste Beispiele dafür sind die musikalische Lesung „Die Unsterblichkeit der Sterne – Verb(r)annte Bücher, „verfemte“ Komponisten, unsterbliche Biografien“ und die szenische Installation „Das Grenzlandtheater“.
„Die Unsterblichkeit der Sterne“
In ihrer Lesung zum Gedenken an die Bücherverbrennungen lassen Julia Boegershausen, Björn Bewerich und Felix Pankonin Autorinnen und Autoren zu Wort kommen, deren Bücher 1933 verbrannt wurden: Else Laskar-Schüler, Erich-Maria Remarque, Kurt Tucholsky, Joachim Ringelnatz, Berthold Brecht, Franz Werfel, Friedrich Hollaender, Gustav Meyrink, Kurt Bry, Irmgard Keun, Ilse Weber, Selma Meerbaum-Eisinger. Julia Boergershausen interpretiert die Texte eindrucksvoll, begleitet von Björn Bewerich am Klavier. Felix Pankonin kommentiert die Texte, ordnet sie in den historischen Hintergrund ein und stellt uns die Autorinnen und Autoren auf unterhaltsame und doch tiefgründige Weise vor. Musik von Gustav Holst und Victor Ullmann, erinnert zudem an die zwei Komponisten, deren Musik damals nicht mehr gespielt werden durfte.
Einer, der die Bücherverbrennung miterlebt und der mit angesehen hat, wie seine Bücher in die Flammen geworfen wurden, war Erich Kästner. Aus seiner Rede zum 25. Jahrestag der Bücherverbrennung werden mehrere Ausschnitte im O-Ton eingespielt. Der folgende ist mir besonders im Gedächtnis geblieben:
„Die Ereignisse von 1933-45 hätten spätestens 1928 bekämpft werden müssen. Später war es zu spät. Man darf nicht warten, bis der Freiheitskampf Landesverrat genannt wird, man darf nicht warten, bis aus dem Schneeball eine Lawine geworden ist. Man muss den rollenden Schneeball zertreten. Die Lawine, die hält keiner mehr auf. Sie ruht erst, wenn sie alles unter sich begraben hat. (…) Drohende Diktaturen lassen sich nur bekämpfen, ehe sie die Macht übernommen haben…“
Die Auswahl der Texte, die z.T. vor, während und nach der Zeit des Nationalsozialismus – viele im Exil, einzelne im Konzentrationslager – geschrieben wurden, sie macht deutlich, was die Autor*innen in dieser Zeit bewegt hat. Besonders eindrücklich für mich: wie präsent der 1. Weltkrieg noch war. Mir bekannte Texte – wie der Ausschnitt aus Erich-Maria Remarques Roman „Im Westen nichts Neues“ entfalten auf der Bühne und im Zusammenhang mit anderen Texten noch einmal eine große Kraft. Andere berühren die Themen Flucht und Exil oder machen sich über die Nationalsozialisten lustig, stellen sie in Frage, hoffen und beschreiben das Zerbrechen an der hoffnungslosen Realität. Sie zeigen die Unterschiedlichkeit der Persönlichkeiten, von denen sie stammen. Und die meisten machen mir Lust auf mehr, weil sie mir noch so viel zu sagen haben.
Das „Grenzlandtheater“
Am ganzen Körper erfasste mich auch der Besuch des Stückes „Das Grenzlandtheater – Eine Szenische Installation zur Machtergreifung 1933“. Hier setzt sich das Gerhart Hauptmann Theater in einer spartenübergreifenden Produktion mit dem Zittauer Theaterbau und der Frage auseinander, wie bedeutsam auch das Theater im Kontext nationalsozialistischer Propaganda war.
Nach dem Brand des alten Theaters im Jahre 1932 wurde der Theaterneubau kurz nach der Machtübernahme der Nazis geplant und 1936 als „Grenzlandtheater“ eröffnet. Damit entstand in Zittau eines von mehreren „Grenzlandtheatern“, die als „Bollwerk der deutschen Kultur an den Reichgrenzen“ eine besondere Bedeutung für die NS-Propaganda hatten.
Schon die im Foyer projizierten Fotos aus der Bauphase nehmen uns in die 30er Jahre mit. Dann führen uns die Architekten höchstpersönlich in die Baupläne ein. Wir lernen den damaligen Intendanten kennen, der aus seinem Vorwort für das Eröffnungsprogramm liest und dieses mit den Worten kommentiert: „Dieses überintellektuelle Herumexperimentieren auf unserer Bühne, das ist nun endlich vorbei.“ Im Orchestergraben werden wir unfreiwillig Zeugen, wie auf der Bühne über uns eine Schauspielerin zurechtgewiesen wird, ihre Rolle dem neuen Zeitgeist entsprechender zu spielen. Wir nehmen an einer Sitzung zur Erstellung des Spielplans teil („Keiner hat etwas gegen Juden, wir können nur keine engagieren!“). Und wohnen der Probe einer Arie aus Karl Maria von Webers Freischütz, dem Eröffnungsstück des neuen Grenzlandtheaters, bei. Die Szenen rund um das Theater lehnen sich an historisches Material und Informationen aus dem Buch „Das Grenzlandtheater in Zittau 1934 – 36“ von Jos Tomlow und Sabine Spitzner-Schmieder an. Sie wechseln sich ab mit fiktiven Szenen, die die Abgründe dessen, was nach der Machtergreifung kommen wird, erahnen lassen: Verfolgung, Krieg und Tod… Kann man das überhaupt spielen? Die Tänzerinnen und Tänzer der Tanz-Company tanzen es, deuten an und finden eine Körpersprache für das, wofür uns die Worte fehlen – und lassen damit viel Spielraum für eigene Interpretationen. Das Nachdenken über das Erlebte ist damit bei mir auch nach der Vorstellung nicht zu Ende.
Nachdenken muss ich auch über die „Kleinigkeiten“ am Rande, die vermeintlichen Alltäglichkeiten, die mich immer wieder am ganzen Körper erwischt haben: Der Hitlergruß am Anfang – so selbstverständlich, dass es mir fast selbst den Arm nach oben zieht. Und: Auf dem Weg durch das Theater werden wir von zwei Frauen herumkommandiert, die dem eiskalten Nazi-Klischee entsprechen. Die direkte Konfrontation mit diesem Frauenbild, dieser Härte und Emotionslosigkeit sind für mich schwer zu ertragen. Der Rundgang führt uns vom Keller bis unter das Dach – und gibt einen Einblick, wie technisch ausgefeilt der Bau geplant und mit welchen Raffinessen er ausgestattet ist. Die Inszenierung benutzt den speziellen Charakter der ungewöhnlichen Orte und entfremdet sie. So wird der Keller unter der Drehbühne zum Untergrund, durch den sich die Ausgestoßenen und Verfolgten quälen, der Dachboden verwandelt sich von der Baustelle zum Schlachtfeld und überall lauert versteckt oder offensichtlich – Mephisto.
Beide Veranstaltungen sind Teil des Projektes „Zittau’33 – ‚Machtergreifung‘ in der südlichen Oberlausitz“. Weitere Beiträge, Veranstaltungen und Ankündigungen gibt es auf
http://hillerschevilla.de/netzwerkstatt-blog/zittau33/
Trailer Grenzlandtheater: https://www.g-h-t.de/de/spielplan/das-grenzlandtheater/
AKn