Ahoi vom „Nudeldampfer“
Vor zwei Wochen machte sich das Team der NETZWERKSTATT auf zu einer Architektur-Ikone, die mitten in der Oberlausitz anmutet wie ein gestrandetes Schiff. Ein modernes, lichtdurchflutetes Schiff, das den Spitznamen „Nudeldampfer“ seiner ungewöhnlichen Form ebenso verdankt wie dem Umstand, dass Fritz Schminke, der Auftraggeber des Bauwerks, die erfolgreiche Anker-Nudelfabrik in Löbau betrieb.
Die Rede ist natürlich von der Villa Schminke. Anfang der 1930er Jahre von Hans Scharoun in enger Zusammenarbeit mit der Familie Schminke entworfen, zählt das Gebäude heute zu den vier wichtigsten Wohnhäusern der klassischen Moderne. In direkter Nachbarschaft zur ehemaligen Nudelfabrik wohnten hier bis 1945 Fritz und Charlotte Schminke mit ihren vier Kindern.
Nach Kriegsende von der Roten Armee beschlagnahmt und kurzzeitig zur Militärkommandatur umgewandelt, wurde das Haus Schminke in den 50er Jahren zunächst als FDJ-Klubhaus genutzt. Viele Leute aus der Region kennen die Villa noch als „Haus der Pioniere“, denn unter diesem Namen diente sie zwischen 1963 und 1989 als sozialistisches Kinderfreizeitzentrum. Nach der Wende wurden die Räume von Jugendlichen und jungen Erwachsenen als Freizeitclub genutzt. Unter anderem war die Villa Veranstaltungsort der ersten Schwulen- und Lesbenparties in der Region.
Bereits seit 1978 steht das architektonische Meisterwerk unter Denkmalschutz, doch erst 1999 konnte die Stadt Löbau mit Unterstützung der Wüstenrot-Stiftung eine umfassende Sanierung durchführen, wobei das Haus zumindest in einigen Bereichen wieder näher an den Originalzustand gebracht wurde. Viele Elemente, wie zum Beispiel die Farbigkeit der Innenräume, konnten nicht rekonstruiert werden. Die Stiftung Haus Schminke, welche seit 2009 für dir Erhaltung des Hauses sorgt, macht keinen Hehl aus der wechselvollen Geschichte des Gebäudes und zeigt die Spuren der unterschiedlichen Nutzung genauso auf wie die vielen raffinierten Details aus seiner Entstehungszeit.
Wir besuchten die Villa Schminke unter anderem als potenziellen Veranstaltungsort für zukünftige Seminare oder Abendveranstaltungen. Denn neben der Öffnung des Hauses für Führungen und andere pädagogische Angebote tragen die Mitarbeiter:innen der Stiftung Haus Schminke mit einem vielseitigen Nutzungsangebot dazu bei, dass das Gebäude als Architekturdenkmal und Lernort auch in Zukunft erhalten bleibt. Dazu gehört die Möglichkeit, eine oder mehrere Nächte in der Villa zu übernachten und sich höchstpersönlich von dem Kunststück Hans Scharouns zu überzeugen, „Arbeiten und Wohnen in Einklang [zu] bringen, Technik und Natur [zu] versöhnen, ein geschütztes und freies Leben in familiärer Gemeinschaft [zu] ermöglichen“.1
Außerdem fielen uns während der Führung mehr und mehr Parallelen zwischen der Villa Schminke und der Hillerschen Villa auf: Beide waren Fabrikantenvillen und unmittelbar mit den Geschicken der jeweiligen Fabriken verknüpft. In beiden Fällen wurden die Eigentümerfamilien nach Kriegsende zunächst enteignet, da sie während des Krieges die Wehrmacht beliefert hatten. Während die Enkelinnen der Familie Hiller nach der Wende das ihnen rückübertragene Haus in Zittau einem soziokulturellen Verein (dem Multikulturellen Zentrum, Vorgängerverein der Hillerschen Villa) schenkten, verzichteten die Töchter der Schminkes auf die Rückgabe ihres Elternhauses unter der Maßgabe, dass es einer öffentlichen Nutzung zugänglich gemacht würde.
Ähnlich wie im Falle der Hillerschen Villa stellt sich auf den zweiten Blick heraus, dass die Geschichte des Hauses und seiner Bewohner:innen noch weit komplexer ist. Schließlich litt der Architekt Hans Scharoun unter fehlenden öffentlichen Aufträgen, seit er von den Nationalsozialisten als Vertreter „entarteter Kunst“ eingestuft worden war. Ein großer privater Auftrag wie der von Fritz und Charlotte Schminke ermöglichten es ihm, trotzdem in Deutschland seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Und das Gästezimmer der Schminkes bot während des Krieges Unterschlupf für die Tochter des 1936 emigrierten Bauhaus-Künstlers Ludwig Hirschfeld-Mack. Ellinor „Ello“ Hirschfeld studierte später an der Hochschule für Gestaltung in Ulm, die als Nachfolge des Bauhauses nach 1945 gilt.
AKL