Sieben Brücken und ein Kloster
Erhaben, respektgebietend, der Welt entrückt: an die sanften Hänge des Neißetals bettet sich seit nahezu 1800 Jahren das Nonnenkloster St. Marienthal als ein Ort der Stille. Eine Stille voller Leben: im IBZ, dem internationalen Begegnungszentrum St. Marienthal treffen ständig die unterschiedlichsten Jugend- und Seminargruppen zusammen.
Ein Ort der Begegnung – wie geschaffen also für unser eigenes Begegnungsprojekt! Unter dem Thema „Energie schöpfen“ finden 19 Schüler*Innen des Gymnasiums „Evangelische Zinzendorf-Schulen“ und der Förderschule „Johann Amos Comenius“ hier vom 24. Bis 27. Oktober 2017 zusammen, um mit Patrick Weißig aus der Hillerschen Villa dem Ursprung von Energie nachzuspüren. Im Vordergrund steht der Gedanke: „Woraus ziehe ich meine eigene Energie? Was treibt mich an?“.
Das Projekt beginnt spannend. Mann*Frau kennt sich nicht, Berührungsängste und gegenseitige Vorbehalte hängen spürbar in der Luft. Doch durch lustige Kennenlernspiele lockert sich die Stimmung schnell. Wer kann auch ernst bleiben, wenn er*sie versucht, mit dicken Filzstiften in 3 Minuten ein einigermaßen realitätsnahes Porträt des Gegenübers zu zeichnen?
Bald kommen wir direkt zur Sache: Die Schüler*Innen können ihre Wünsche angeben, in welcher Arbeitswerkstatt sie in der kommenden Woche täglich mehrere Stunden verbringen wollen. Malerei, Schauspiel oder Fotografie? Die Entscheidung fällt so manchem*r schwer. Doch als die Arbeit in den Werkstätten beginnt, lösen sich die Zweifel der Jugendlichen schnell auf. Tolle Talente treten zu Tage, alle werden zum Lachen gebracht.
Für Abwechslung und Bewegung sorgen interessante Ausflüge in die Umgebung des Tagungshauses. Am Mittwoch besteigen wir mit fachkundigem ehemaligem Tagebaupersonal den Schaufelradbagger am Berzdorfer See. Mit bunten Schutzhelmen ausgestattet tauchen die Schüler*Innen in die Vergangenheit ein, im Ohr einen unaufhörlichen Informationserguss über Details der Bau- und Funktionsweise der imposanten Maschine und des Arbeitsalltags der Tagebauarbeiter*Innen. Auch deren besonderen paradoxen Humor dürfen wir live erleben, während wir über ungezählte stählerne Treppen und Brücken steigen und die Höhenangst bezwingen.
Der Donnerstag führt uns nicht ganz so weit weg: Herr Georg Salditt vom IBZ erklärt uns in einer Klosterführung eine ganz andere Form von Energie als jene, die aus der Kohle kommt, nämlich die Lebenseinstellungen der Nonnen des Zisterzienserordens. Die Jugendlichen interessieren vor allem praktische Fragen: „Was bedeutet eigentlich, ohne eigenen Besitz zu leben?“. Im Anschluss werfen wir noch einen Blick in das historische Sägewerk. Der Abend findet einen besinnlichen Abschluss bei den faszinierenden Klängen der Abendandacht der Nonnen.
Am Freitag können sich die einzelnen Arbeitsgruppen schließlich ihre Ergebnisse präsentieren. Die Malereiwerkstatt lädt zu einer Galerie farbenfroher Bilder ein, die ganz unterschiedlich an das Thema innere Energie angelehnt sind. Die Fotograf*Innen unter uns stellen eindrucksvolle Porträt- und Landschaftsaufnahmen aus. Highlight bildet schließlich die Darbietung der Schauspielgruppe, die sich mit viel Fantasie mit dem Märchen „das kalte Herz“ auseinandergesetzt hat und uns nun ein kleines Theaterstück vorführt, in dem vor allem das ernste Thema der Energie des Geldes eine Rolle spielt – wenn auch voller Humor inszeniert, zum Beispiel mit gemeinsamen Singen von „Über sieben Brücken musst du gehen…“.
Damit findet unsere gemeinsame Zeit auch schon ihr Ende. Das Feedback der Teilnehmenden ist überwiegend positiv. Auf jeden Fall wünschen sich fast alle, dass dieses Projekt, dass nun schon das 5. Mal stattfindet, auch im nächsten Jahr wieder angeboten wird und würden es gern weiterempfehlen. Beim Abschied hört man auch schon mal die Worte „Ich fand dich beim Theater richtig cool!“ und „Es war schön mit euch!“.
Alle sind sich näher als noch zu Beginn der Woche, der trennende Spalt aus Vorurteilen ist viel schmaler geworden, wir haben ihn mit echten Erfahrungen gefüllt –
Brücken geschlagen.
Fotos von Patrick Weißig
Text von Cora Heß