Zeichen aus Charkiv
Lange Zeit achteten wir wenig auf ihn. Gemeint ist ein Wimpel an unserer Pinnwand im Büro. Doch zu Beginn des Krieges in der Ukraine änderte sich mein Blick. Auf einmal sah ich „ihn“ wieder. Es ist ein Wimpel der Stadt „Charkiv“. Es war ein Abschiedsgeschenk unserer FSJlerin Inna. Sie absolvierte ihr freiwilliges soziales Jahr Politik bei uns, 2015/16.
Schnell griff ich zum Telefon, ob die Nummer noch aktuell ist?!
Ja, ich erreiche Sie – wir tauschen uns kurz aus – ihre Mutter bereitet sich gerade, vor die Ukraine zu verlassen, auch andere Verwandte müssen flüchten.
Schnell kommen meine Erinnerungen an Ihr FSJ bei uns wieder hoch. Sie war damals neu in Deutschland und sehr interessiert an den aktuellen Diskursen vor Ort. Sie organisierte ein Workcamp mit jungen Menschen. Wir kochten zusammen Pelmeni. Vor allem blieb mir aber eine Veranstaltung mit Inna in Erinnerung. Sie gestaltete einen Abend über Ihre Heimat. Sie berichtete vom Maidan, von der Besetzung der Separatistengebiete im Donbass, sie sprach von Familien, welche in russische und westliche „Fraktionen“ zerfielen. Bei all dem spürte ich bei ihr einen ungemeinen Stolz auf ihre Heimat Ukraine. Das beeindruckte mich damals, und heute noch viel mehr.
Und diese „Heimat“ ist nun Kriegsgebiet – wie ein unablässiger Flächenbrand greift die russische Armee das Land Ukraine an. Nichts scheint sicher. Ohnmächtig und hilflos komme ich mir vor, dankbar jedoch über die große Solidarität, die ich erlebe von vielen Menschen hier in der Region und gleichzeitig die Sorge, ob und wie eine Beendigung dieses Krieges aussehen könnte.
Diese Dinge berühren gewiss viele Menschen in diesen Tagen – ich bin froh, dass ich mit Inna wieder Kontakt habe. Ihr Mutter ist nun gut in Deutschland angekommen, viele Hilfesuchende können es hoffentlich ebenso tun. Es sind die kleinen persönlichen Kontakte, welche einem helfen können mit dem Grauen des Krieges umgehen zu können.
PW