Aufstand am Bahnhofsvorplatz
Als Startpunkt für unsere Stadtführung „Zittau 1989“ wählen wir oft den Platz des 17. Juni. Allein diese Ortsangabe sorgt mitunter bei Teilnehmenden für Fragezeichen. Was soll die Datumsangabe bedeuten? Und überhaupt, wo liegt dieser Platz?
Die zweite Frage ist relativ einfach beantwortet – es handelt sich um den 2001 aufwendig sanierten Zittauer Bahnhofsvorplatz. Und auch die Antworten zur ersten Frage lassen sich direkt vor Ort ausfindig machen.
Gegenüber des Bahnhofvorplatzes befinden sich die Gebäude des ehemaligen Phänomen Fahrzeugwerkes (1957 in VEB Robur Werke Zittau umbenannt). Mit gut 4000 Gesamtbeschäftigten stellte das IFA-Werk Phänomen Zittau den größten Arbeitgeber im Kreis dar. Am 17. Juni 1953 schlossen sich auch Zittauer Arbeiter und Arbeiterinnen dem Aufstand vieler Werktätigen in der DDR an. Die im Mai beschlossene Normerhöhung – gleicher Lohn bei gesteigerter Arbeitsleistung – sorgte bei ihnen für Unverständnis und Empörung.
Wie andernorts auch, bekundeten die Beschäftigten ihre Zustimmung des allgemeinen Protestes im Land. Die Betriebsgewerkschaftsleitung (BGL) hatte eine Resolution an die Regierung der DDR ausgearbeitet, Forderungen waren u.a.:
- Freie, geheime und demokratische Wahlen
- Recht auf uneingeschränkte Meinungsfreiheit
- Senkung der HO-Preise auf ein bezahlbares Niveau
- Einheitliche Einstufung der Lebensmittelkarten
Im Jahr 2003 erinnerte sich Dr. Manfred Richter, ein ehemaliger Arbeiter des Phänomenwerkes: „Am nächsten Morgen, dem 18. Juni 1953, waren wir keinesfalls gewillt klein bei zu geben. … Der kommandierende Offizier forderte uns auf, sofort zurück in den hinteren Teil des Fabrikhofes zur übrigen Belegschaft zu gehen. … Aber wie rührten uns nicht. Die Läufe der MPs waren direkt auf uns gerichtet. Er forderte uns unter Androhung von Gewalt ein weiteres Mal auf, sofort in den Hof zurück zu gehen. Wir befürchteten eine Eskalation der Situation. Jetzt gingen wir. Langsam, ganz langsam, bewegten wir uns nach hinten, voller Ohnmacht, Wut und geballten Fäusten in den Hosentaschen. … Unser Traum von einer großen, befreienden Veränderung war ausgeträumt. Aber es gab einen Trost. Wenige hundert Kilometer weiter westlich gab es eine freiere Welt, und der Weg dorthin war noch offen. Dieses Wissen war für mich und Tausende anderer , vor allem jüngerer Menschen in der DDR, der Joker in der Hinterhand“.1
Bis zum Bau der Berliner Mauer am 13.8.1961 flüchteten knapp 2,7 Millionen Menschen aus der DDR.2
Unter Ausrufung des Kriegsrechtes und Ausgangssperren wurde der Arbeiteraufstand binnen weniger Tage durch sowjetische Truppen niedergeschlagen. Tausende Menschen wurden verletzt, 55 wurden getötet.
Auch daran erinnert der Vorplatz des Zittauer Bahnhofes, der Platz des 17. Juni.
Weitere Informationen zum Thema:
- Führung „Friedliche Revolution in der Oberlausitz“ – Zu buchen unter: netzwerkstatt@hillerschevilla.de bzw. www.hillerschevilla.de/cms/de/120/Fuehrungen
- Broschüre: „Der Volksaufstand am 17. Juni 1953 in der DDR unter besonderer Berücksichtigung der Ereignisse in der südlichen Oberlausitz“ – erhältlich in der Umweltbibliothek Großhennersdorf
PW
1 DR. Manfred Richter „Damals, am 17. Juni 1953…“ in: „Der Volksaufstand am 17. Juni 1953 in der DDR unter besonderer Berücksichtigung der Ereignisse in der südlichen Oberlausitz, 2003, hrsg. Umweltbibliothek Großhennersdorf
2 Presse- und Informationsamt des Landes Berlin, Die Mauer und ihr Fall 7. Auflage 1996