
Rückblick: Ende des Prager Frühlings- 55 Jahre seit der Okkupation der Tschechoslowakei
„Liebe Hörerinnen und Hörer, bleiben Sie bei Ihren Empfängern“, appellierte der Sprecher des Tschechoslowakischen Rundfunks in der Nacht am 21. August 1968, kurz nach 1.30 Uhr, an die Bevölkerung seines Landes. Wenige Minuten später wurde die Erklärung der Vertreter der tschechoslowakischen Regierung verlesen:
An das gesamte Volk der Tschechoslowakischen Sozialistischen Republik:
„Gestern, am 20. August 1968, gegen 23.00 Uhr, überschritten die Truppen der Sowjetunion, der Volksrepublik Polen, der Deutschen Demokratischen Republik, der Ungarischen Volksrepublik und der Bulgarischen Volksrepublik die Staatsgrenze der Tschechoslowakischen Sozialistischen Republik. Dies geschah ohne das Wissen des Präsidenten der Republik, des Präsidenten der Nationalversammlung, des Ministerpräsidenten und des Ersten Sekretärs des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei der Tschechoslowakischen Republik und dieser Organe.
In diesen Stunden tagte das Präsidium des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei und befasste sich mit der Vorbereitung des XIV. Parteitages. Das Präsidium der Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei forderte alle Bürger unserer Republik auf, Ruhe zu bewahren und keinen Widerstand gegen die vorrückenden Truppen zu leisten. Aus diesem Grund haben unsere Armee, die Sicherheitskräfte und die Volksmiliz keinen Befehl zur Verteidigung des Landes erhalten.
Das Präsidium des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei betrachtet diesen Akt nicht nur als Verstoß gegen alle Prinzipien der Beziehungen zwischen sozialistischen Staaten, sondern auch als Verweigerung der grundlegenden Normen des Völkerrechts.
Alle führenden Funktionäre des Staates, der Kommunistischen Partei und der Nationalen Front bleiben in ihren Ämtern, in die sie als Vertreter des Volkes und Mitglieder ihrer Organisationen gemäß den in der Tschechoslowakischen Sozialistischen Republik geltenden Gesetzen und anderen Normen gewählt wurden. Die Verfassungsorgane berufen unverzüglich eine Sitzung der Nationalversammlung und der Regierung der Republik ein, und das Präsidium des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei der Tschechoslowakischen Republik beruft ein Plenum des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei der Tschechoslowakischen Republik ein, um die Situation zu besprechen.“
So begann in der Nacht vom 20. auf den 21. August 1968 die Operation Donau, der Einmarsch der Truppen des Warschauer Paktes in die Tschechoslowakei, eine unerwartete Invasion der „befreundeten“ Armeen von fünf kommunistischen Ländern. Der Grund für die Intervention, die durch ein Ersuchen des konservativen Flügels der Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei unterstützt wurde, waren die als „Prager Frühling“ bezeichneten liberal-reformistischen innenpolitischen Veränderungen in der Tschechoslowakei.
Panzer überquerten die Grenze, Flugzeuge landeten auf Flughäfen… Die meisten wichtigen Städte in der Tschechoslowakei waren besetzt, der Rundfunk wurde unterbrochen. Kurz darauf, als die Resolution noch im Rundfunk gelesen wurde (siehe oben) wurden die führenden Vertreter der tschechoslowakischen politischen Reform verhaftet und in die SSSR/UdSSR gebracht (u.a. Alexander Dubček, Oldřich Černík, Josef Smrkovský). Die Bemühungen der Besatzungsbefürworter um die Einsetzung einer kollaborierenden Regierung wurden jedoch durch den spontanen Widerstand der Mehrheit der tschechoslowakischen Bevölkerung vereitelt, der etwa eine Woche andauerte und in dem die Mensch ihre Unterstützung für die internierten Politiker bis zu deren Rückkehr in ihre Heimat zum Ausdruck brachten.
Nach und nach wurden jedoch die meisten Reformen rückgängig gemacht, das kommunistische Regime wurde durch die Normalisierung der Verhältnisse wieder gefestigt, und die reformorientierten Politiker änderten entweder ihre Meinung oder wurden ersetzt. Der Widerstand der Bevölkerung gegen die Besetzung wurde schließlich durch die brutale Niederschlagung der Proteste am ersten Jahrestag der Besetzung gebrochen. Die Truppen der UdSSR blieben dann bis 1991 in der Tschechoslowakei. Der Sozialismus sowjetischer Prägung wurde dadurch in den Augen der Weltöffentlichkeit diskreditiert.
Wie verliefen die ersten Tage und Stunden der Invasion in unserer Region? Was geschah auf der deutschen und tschechischen Seite der Grenze? Wie verlief der Durchzug der Besatzungstruppen durch Liberec, wo es nach Prag die meisten Opfer gab? Inwiefern war die Armee der Deutschen Volksrepublik an der gesamten Operation beteiligt bzw. nicht beteiligt? Wie verlief die grenzüberschreitende Kommunikation in den ersten Tagen der Besatzung?
Antworten auf diese und andere Fragen suchten wir am Abend des 20. August in Žitava und am folgenden Morgen des 21. August im Zentrum von Liberec. Immer mit einer Gruppe von deutschen und tschechischen Teilnehmern und einem Dolmetscher.
1) Sonntag, 20.08.2023, 17-19Uhr, Zittau (Jolesch – Hillersche Villa)
Am Vorabend des Jahrestages der oben erwähnten Ereignisse haben wir Frau Dr. Markéta Lhotová von der Technischen Universität Liberec in der Hillerschen Villa in Jolesch begrüßt. Sie hat uns mit ihren Erzählungen und Filmausschnitten die Ereignisse des August 1968 in unserer Region näher gebracht. In Jolesch haben sich fast 40 Interessierten getroffen und nach dem Vortrag hat eine spannende Diskussion gefolgt.
2) Montag, 21.08.2023, 9-11:30 Uhr, Liberec
Am nächsten Tag fuhren wir nach Liberec, unserer Nachbarstadt in Böhmen, die von 1968 sehr stark betroffen war und in der die Ereignisse jenes Jahres noch heute in Erinnerung sind. Gemeinsam haben wir an einer Gedenkveranstaltung im Rathaus teilgenommen. Anschließend hatten wir die Gelegenheit, mit mehreren Überlebenden des Durchzugs der Besatzungstruppen zu sprechen und ihre Geschichte zu hören. Bei einem etwa einstündigen Rundgang durch das Stadtzentrum, der von Lubor Lacina, Mitarbeiter des Nordböhmischen Museums in Liberec, haben wir unserem Mosaik von 1968 dann die letzten Informationssteine hinzugefügt.
Vielen Dank für Ihre Interesse und Teilnahme und wir freuen und auf die nächste Veranstaltung mit Ihnen!







Rückblick – Vortrag / Gedenkveranstaltung / Zeitzeugengespräch / historische Stadtführung