Wie viel Erinnerung an Schreckliches taugt zur Demokratieerziehung?
Diese vom Historiker Dr. Justus Ulbricht in seinem Impulsreferat formulierte Frage war nur eine von vielen, die uns am vergangenen Samstag bei der ersten Regionalkonferenz der sächsischen Landesarbeitsgemeinschaft Auseinandersetzung mit dem NS beschäftigte. In den Räumlichkeiten der Gedenkstätte Bautzen kamen haupt- und ehrenamtliche Mitarbeiter:innen von Institutionen und Projekten zusammen, die sich mit der nationalsozialistischen Vergangenheit Ostsachsens auseinandersetzen.
Bei einer Führung durch die Ausstellung „Haft unterm Hakenkreuz“ in der Gedenkstätte Bautzen wurde unter anderem thematisiert, wie bestimmte Häftlingsbiografien von Schüler:innen aufgenommen werden und welche inhaltlichen Parallelen zur Jetztzeit sich herstellen. Jugendliche äußern sich teilweise radikal zu kontroversen Themen wie z.B. der Todesstrafe. Dabei zeigt sich oft, dass sie bereits eine relativ feste Meinung zu diesen Themen gebildet haben. Daher stellt sich die Frage, ob Gedenkstättenbesuche überhaupt dazu beitragen können, bei Schüler:innen ein Verständnis von demokratischem Zusammenleben zu fördern oder ob dieser Anspruch letztlich eine Idealvorstellung bleibt.
Nachdem die NETZWERKSTATT als einer von fünf ostsächsischen Akteuren ihre Arbeit zur Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus präsentierte, gab Florian Sickert vom Verein Jugend für Dora (Nordhausen) neue Impulse zum Gedenken und Erinnern. Jugend für Dora organisiert regelmäßig Erinnerungsprojekte rund um das ehemalige Konzentrationslager Mittelbau-Dora, meist zum Jahrestag seiner Befreiung. Die vorgestellten Projekte funktionieren oft als temporäre Interventionen im öffentlichen Raum – nicht nur im Nordhausen, sondern auch an den ehemaligen Standorten der KZ-Außenlager in der gesamten Südharz-Region. Zum öffentlichen Austausch anregen sollte zum Beispiel das 2015 realisierte Projekt Fahnen der Erinnerung, bei dem die in den Gemeinden angebrachten Fahnen und Bodenaufkleber fragten: „Was bleibt?“ Was bleibt von den Orten der Zwangsarbeit, aber auch: was bleibt von der Erinnerung, und wie könnten Gedenkveranstaltungen aussehen, um auch in Zukunft relevant zu bleiben?
Das Nachdenken über neue Gedenk- und Erinnerungsformen wurde anschließend in einer von zwei Diskussionsgruppen noch vertieft. Hier hieß es: Mehr unterschiedliche Menschen ansprechen! Antiquierte Gedenkveranstaltungen neu denken! Partizipative Projekte statt Kranzniederlegungen! Aktionen statt Denkmäler! Und auch: Über die Unterschiede von Diktaturen und Demokratien reden! Denn schließlich wollen wir die Auseinandersetzung mit dem NS nicht, um ständig zu wiederholen, „wie schlimm es damals gewesen ist“, sondern um einen Austausch darüber zu fördern, in welcher Art von Gesellschaft wir (nicht) leben wollen.
AKL